Ingvar AmbjörnsenIngvar Ambjörnsen


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Zu Tisch mit Elling


Zucker als Brotbelag – das Natürlichste von allem

Elling, der liebevolle Kautz des norwegischen Bestellerautors Ingvar Ambjørnsen, sitzt mal wieder bei Tisch und schwelgt in Erinnerung an Zucker als Brotbelag. Herrlich ungesund.

Als Gro Harlem Brundtland 1998 ihren neuen Posten als Chefin der Weltgesundheitsorganisation antrat, ritt sie sofort eine scharfe Attacke gegen den Zucker. Und wer sich vor Vergnügen vor dem Fenseher kringelte, war der Unterzeichnete. Denn sie hatte natürlich recht. Zucker ist pures Gift und sollte entsprechend behandelt werden. Aber dann war es doch auch so, dass man bereits einige Jahre gelebt hatte. Und zu dem, wovon man in diesen Jahren überlebt hatte, gehörte ja eben der tägliche Umgang mit teilweise großen Mengen Zucker. So entsetzlich gefährlich konnte das doch nicht sein?

Doch, meinte Gro und hob in der Direktübertragung den Zeigefinger. Genau so entsetzlich gefährlich war das. Und ich lutschte dabei, neckisch geradezu, an einem Stück Würfelzucker. Gemein von mir.

Gleichzeitig dachte ich zurück an meine Kindheit, als die Apfelsinen so sauer waren, dass man ihnen mit großer Selbstverständlichkeit drei oder vier Stück Zucker «in den Hintern schob», wie meine Mutter immer sagte, wenn sie und ich allein waren. Frisches Weißbrot mit Einmachzucker war ebenfalls eine Alltagsdelikatesse. Zuerst eine dicke Schicht Margarine, dann großzügig mit Zuckerraffinade bestreuen! Die Schnitte wurde schräg gehalten, damit ein Teil des losen Zuckers sich löste. Aber nicht zu viel. Es musste um jeden Preis Zucker genug übrig bleiben! Ich spüre noch immer das Knirschen der Zuckerkristalle, die zwischen Backen- und Eckzähnen zermalmt werden!

Aber das war doch schädlich für die Zähne. Ja, das stimmt schon. Aber deshalb ging man ja zum Schulzahnarzt. Denn die Zähne waren oben und unten voller Löcher. So gehörte sich das schließlich. Alle Kinder hatten Löcher in den Zähnen, und Amalgam wurde offenbar in Säcken zu fünfzig Kilo geliefert. Genug für alle. Die quecksilberhaltige Füllmasse war damals auch noch nicht so schrecklich gefährlich. Jedenfalls wurde nicht darüber geredet. Und ich habe oft gedacht: Vielleicht war es ja nur gut so, dass nicht die ganze Zeit über alles mögliche geredet wurde. Denn ist es nicht eigentlich die Angst, die uns krank macht? Wir aßen Zucker auf dem Brot, und das war nicht gefährlicher, als sich einen Mückenstich aufzukratzen. (Was inzwischen sicher auch in Verruf geraten ist. Es würde mich jedenfalls nicht wundern.)

Ich weiß nicht. Jedenfalls hat Zucker auf dem Brot als Geschmackserlebnis ein wenig von seinem Charme verloren. In der Erinnerung schmeckt es besser als in Wirklichkeit (das habe ich kürzlich überprüft). Ob sich die Ermahnungen unserer ehemaligen Landesmutter heimlich in mein Unterbewusstsein eingeschlichen haben, kann ich nicht beurteilen, aber bisher glaube ich lieber, dass meine Geschmacksnerven seither geschwächt worden sind, oder vielleicht noch eher: dass der Hunger auf Zucker im Alter abnimmt. Der Sinn für Saures und Bitteres scheint zuzunehmen, und hier wird der schlagfertige junge Leser sicher hinzufügen, dass das auch im übertragenen Sinn gilt. Von mir aus, gern. Ich würde die sechziger und siebziger Jahre absolut nicht mit heute tauschen mögen, aber mit der Zuckerproblematik hat das gar nichts zu tun. Nur, damit das gesagt ist.



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