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Ingvar AmbjörnsenDas Katzenhaus am Grindelberg

Der fünfte Elling


Ingvar Ambjørnsen erweckte vor einigen Jahren Elling als Blogger zu neuem Leben, und nun hat er den fünften Roman über Elling geschrieben. Die Handlung beginnt vielleicht anderthalb Jahrzehnte, nachdem wir Elling in pychotischem Zustand in „Lieb mich morgen“ verlassen haben.

Eigentlich war das gar nicht geplant.

„Nein, ich war total fertig mit Elling. Das war keine Koketterie meinerseits. Ich wollte die Geschichte über Elling absolut nicht weiterschreiben. Ich hatte eigentlich das Gefühl, alles herausgeholt zu haben, was vorhanden war. Und ich hatte auch den ganzen Zirkus satt.“
Mit Zirkus meint er den gewaltigen Erfolg, den die vier Bücher, die Filme und das Theaterstück über Elling in aller Welt hatten. Der erste Elling-Film wurde sogar für einen Oscar nominiert. Die Bücher wurden sozusagen zur Volkslektüre, und Ambjørnsen wurde für seine Geschichten über Elling mit mehreren bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet.

„Es hat natürlich auch wahnsinnigen Spaß gemacht – und ich habe Dinge erlebt, die einem Autor normalerweise nicht passieren. Aber es wurde alles so groß und unübersichtlich. Vor allem das Theaterstück wurde in aller Welt aufgeführt – Australien, Argentinien, Finnland, Mexiko, überall. Ich habe in Deutschland einige sehr gute Inszenierungen gesehen, aber irgendwann hatte ich es satt, Elling in allen möglichen Variationen zu erleben.“

Aber nun ist Elling wieder da, und so begegnen wir ihm: In der Eisenbahn, auf dem Weg nach Oslo, mit Schienenersatzverkehr ab Drammen.

„Ja, da ist er. Mit einem klaren Ziel. Er hat bei einer älteren Dame in Grefsen eine Kellerwohnung gemietet (die er vornehm als Sockelwohnung bezeichnet). Seit wir ihn am Ende des vierten Buches verlassen haben, sind etliche Jahre vergangen, Elling ist jetzt Ende 50. Er wird also zum alten Mann – und ihm ist klar, wenn er nun in diese Sockelwohnung einzieht, dann ist das der letzte Stopp. Die Jahre, die ihm noch bleiben, wird er dort verbringen.“

Und Elling ist wieder allein. Er ist einsam. Sein Kumpel Kjell Bjarne ist tot.

„Als ich mit Schreiben angefangen habe, musste ich auf Kjell Bjarne verzichten. Ich habe Elling von ganz unten anfangen lassen, in vieler Hinsicht weist dieses fünfte Buch zurück auf das erste („Ausblick auf das Paradies“), das mit dem Tod seiner Mutter beginnt. Als ich es noch einmal gelesen habe, war ich überrascht davon, dass es um einiges trauriger ist, als es in meiner Erinnerung wirkte. Er war doch ein erwachsenes Muttersöhnchen, das sein Leben lang zu Hause gewohnt hatte – und plötzlich war er allein. Jetzt ist er auch allein. Dieses ganze Projekt handelt von Einsamkeit, die Bücher über Elling sind tausend Seiten Einsamkeit.

Aber trotzdem. Der Grundton im fünften Buch ist ja doch positiv. Elling geht es gar nicht schlecht. Kjell Bjarne fehlt ihm, und man merkt, dass er von einem Ort kommt, an den er nicht zurückwill. Aber er wohnt gern in Grefsen, er sucht sich einen neuen Hausarzt, wird Stammgast in einem coolen Buchcafé, macht sich so seine Gedanken über die Kassiererinnen im lokalen Supermarkt und die alte Witwe, bei der er jetzt wohnt“, sagt Ambjørnsen, der beim Schreiben viel Spaß gehabt hat.

„Es war eine Freude. Plötzlich war er wieder da, und alles war wie früher.“

„Hast du das Gefühl, dass du ihn in dem oben beschriebenen Zirkus ein bisschen verloren hast?“

„Ja, unter anderem habe ich ja die Figur in die USA verkauft, sie wollten ein Remake drehen. Sie hätten nichts bezahlt, wenn sie nicht alle Rechte bekommen hätten, deshalb haben sie damals Elling und Kjell Bjarne gekauft und hätten eine Serie mit 150 Folgen und amerikanischen Zutaten drehen könnten, wenn sie das gewollt hätten. Zum Glück wurde da nichts draus. Jetzt habe ich mir Elling zurückgeholt, jetzt gibt es nur noch ihn und mich.“

Nachdem des bisher letzte Buch, „Lieb mich morgen“, erschienen war, kam von Seiten des Publikums viel Kritik. Es hieß, er könne doch nicht einfach so aufhören. Die Fans wollten ein Happy End.

„Das Ende ist ja auch pechschwarz. Elling ist psychotisch, das war er ja auch am Ende des ersten Buches. Es war eigentlich klar, dass die nächste Station ein Klinikaufenthalt sein müsste. Für mich war es besser, ihn da zu verlassen, als ihn und Kjell Bjarne in einem Reihenhaus für jeden in Asker enden zu lassen. Damals war die Feel-Good-Kiste zu stark geworden, vor allem durch die Filme, aber es hätte nicht zu mir gepasst, die Sache mit einem rosa Sonnenuntergang enden zu lassen. Ellings Geschichte endete also gar nicht aufmunternd, und viele fanden das damals schrecklich.“

Selbst Ambjørnsens Mutter wollte ihm ins Gewissen reden.

„Sie meinte, ich schriebe nur düstere Sachen, und fragte, ob ich nicht etwas Lustiges schreiben könnte, etwas über Elling. Und ich fragte zurück: Was ist denn so lustig an einem erwachsenen Mann, der unter dem Mantel den Schwanz aus der Hose hängen lässt. Sie sagte: Du weißt genau, was ich meine. Das weiß ich auch, aber ich glaube, die Bücher hätten nicht so viele angesprochen, wenn allem kein Ernst zugrunde gelegen hätte.“

Eigentlich begann Ellings Wiedergeburt mit einem Ablenkungsmanöver von Seiten des Autors. Das war 2015.

„Damals wollte die Zeitung Tønsbergs blad darüber schreiben, dass ich mir in Tønsberg eine Wohnung gekauft hatte, und das wollte ich nun gar nicht, und um weiteren Fragen auszuweichen, habe ich erzählt, dass ich an vier neuen Büchern über Elling arbeitete“, sagt er und lacht

Und damit ging es los. Die gesamte norwegische Presse zitierte Tønsbergs blads Nachricht über die vier neuen Elling-Bücher.

„Ganz gelogen war das damals nicht mal. Denn damals dachte ich wieder an Elling. Aber vier Bücher, da muss ich doch lachen“, sagt Ambjørnsen, der inzwischen Elling schon eine neue Karriere als Blogger beschert hatte, nach dem Vorschlag einer Freundin, die 2013 ein Blogportal eingerichtet hatte.

Ambjørnsen sagt, dass das Publikum für Ellings weiteres Schicksal eine entscheidende Rolle spielt.

„Es ist mir nicht gleichgültig, wie das fünfte Buch aufgenommen wird. Ich kaue nicht gerade Nägel, aber ich bin gespannt. Ich habe genug andere Projekte, an die ich mich setzen kann, aber ich bin jetzt auch bereit, weiter über Elling zu schreiben. Und auch wenn die ersten vier Bücher nicht direkt zusammenhängen, weiß ich doch schon, dass ich die Handlung eines eventuellen sechsten Buches gleich am Ende von Buch fünf einsetzen lassen werde. Es wird ein bisschen mehr wie eine Fernsehserie mit Staffeln, wir machen direkt weiter.“

Aber die Zeit drängt. Ihm ist längst klar, dass er nicht mehr alle Bücher schreiben wird, die er schreiben möchte.

„Ich muss einfach einsehen, dass ich jetzt so alt bin, dass ich nicht weiß, wie viele Bücher mir noch bleiben. Ich habe schon vor vielen Jahren gesagt, dass ich mit vielen guten Ideen sterben werde. Wenn ich also nicht an Alzheimer erkranke oder beide Arme verliere, werde ich weiter Geschichten schreiben.“


Das Interview erschien zuerst in der norwegischen Zeitung VG
Interviewerin: Camilla Norli