www.ingvar-ambjoernsen.de
Ingvar AmbjörnsenDas Katzenhaus am Grindelberg

Der Beobachter aus Larvik


Ingvar Ambjørnsen, Autor aus Larvik, hat seit 1981 an die fünfzig Bücher veröffentlicht. Seine Bücher erschienen in 31 Ländern. Heute gehört der 62jährige zu Norwegens meistgelesenen Autoren. Sein neuestes Buch heißt „Gelegenheitsgedichte für Heimatlose“ und ist eine Sammlung von Gedichten, die er zusammen mit Tom Stalsberg verfasst hat.

„Ich habe meinen Vater einmal gefragt, wie ich als Kind war. „Du hast am Rand gestanden und zugeschaut“, war die Antwort. So ist es eben. Ich war immer schon Beobachter, der Junge, der mit der Clique herumhing, weil das so sein musste. Dieses ganze soziale Gewese, an dem Kinder sich beteiligen müssen, war für mich ein einziger Zwang, ich wollte nur mit der Schule fertigwerden und schreiben. Und so kam es dann auch. Und alles wurde wirklich besser.“

Ingvar Anbjörnsen, Foto: Tom Stalsberg


Ambjørnsen, der seit über dreißig Jahren in Hamburg wohnt, war kürzlich mit seinem neuen Gedichtband in Norwegen auf Tournee. In „Gelegenheitsgedichten für Heimatlose“ (so lauter der norwegische Titel übersetzt), den er zusammen mit Tom Stalsberg geschrieben hat, finden wir Gedichte und Blogbeiträge von Elling und Alfons Jørgensen – zwei Romangestalten, um die es vierzehn Jahre lang still war.

„Ich weiß nicht genau, wo Elling gesteckt hat, aber jetzt wohnt er in einem Sockelappartement in Grefsen. Er ist Blogger. Es war ein seltsames Gefühl für mich, Gedichte zu schreiben. Ich gebe zum ersten Mal eine Gedichtsammlung heraus, aber das ging gut, weil ich mit Ellings Stimme gesprochen habe. 2019 kommt außerdem ein neuer Elling-Roman.“ Ingvar Ambjørnsen erzählt, dass es auf der Lesereise viele gute Begegnungen mit Leserinnen und Lesern gegeben hat. Dass es aber auch eine ganz besondere Erfahrung war, dass andere Elling noch nach vierzehn Jahren so gut kennen. Die vier Romane über Elling haben viele Leser erreicht und wurden verfilmt und dramatisiert. „Viele assoziieren Elling mit dieser Feelgood-Kiste, die einige der Filme vorführen. Aber in seinem Leben gibt es auch viel Düsterkeit. Einige Male ist für ihn wirklich alles in Auflösung übergegangen.“

Komplexe und verständnisvolle Charakterschilderungen sind zum Kennzeichen des Autors geworden. Die Perspektive derer, die sich nicht ganz anpassen können, die sich damit abmühen, in irgendeiner Gemeinschaft Geborgenheit zu finden. Auch die Kinderbücher über Samson & Roberto und die Jugendkrimis über Peter und den Prof haben einem jüngeren Publikum die Sichtweise der Außenstehenden nahegebracht. Das Wehe wird oft mit Humor geschildert. Die kleinen Absurditäten des Alltagslebens sind ein wichtiger Bestandteil von Ambjørnsens Werk. Aber es gibt auch das Düstere, wie in der Novellensammlung „Nacht auf einen dunklen Morgen“.
Dazu sagt der Autor: „Das ist mein Aufenthaltsort, ich stehe am Rand, sehe alles von außen. In mir gibt es beides, das Witzige und das Düstere. Die Novellen sind Texte, in die ich ungeheuer viel Arbeit gesteckt habe. Darin kommt das Düstere besonders deutlich zum Ausdruck.“

In dem Roman „Die Puppe unter der Decke“ scheinst du dich in eine Art Studie in Schwarz zu vertiefen. Hier schilderst du abgrundtiefen Hass, ganz ohne Humor. Kannst du dazu etwas mehr sagen?
„Das Buch war eine Art Gewissenerforschung. Es ging um den Drang zur Rache, wenn jemand sich wirklich übel verhalten hat. Jemand, der Strafe unbedingt verdient. Rache kann in extremen Situationen absolut verlockend wirken, auch wenn dieses Gefühl nichts ist, worauf man stolz sein kann. Ich war in einer Situation, wo ich Motiv und Möglichkeit zu einer brutalen Rache hatte. Es wäre nicht einmal herausgekommen. Aber statt den Kerl fertigzumachen, habe ich das Buch geschrieben. Und ja, es ist tiefschwarz. Es bleibt im Buch auch offen, ob die Rache wirklich funktioniert. Die Schlussfolgerung ist wohl, dass Rache eine schreckliche Situation nur noch schrecklicher machen kann.“

Deine frühen Romane, aus einem Milieu, in der die Vorhänge nie geöffnet werden, wirkten damals provozierend. Hier wird die Spannung durch eine mehr oder minder gelungene geschäftliche Aktivität mit illegalen Substanzen geschildert. Das war ein herausforderndes Thema vor dem Hintergrund der nationalen Devise „Es ist typisch norwegisch, gut zu sein.“
„Als 1983 „Der letzte Deal“ erschien, habe ich damit ein gewaltiges Tabu gebrochen. Über Cannabis zu schreiben … Dieses Buch wurde von der Literaturszene total ignoriert. Aber es wurde zum Kultroman für Freaks. Pflichtlektüre für alle, die Hasch rauchten. Als drei Jahre später „Weiße Nigger“ herauskam, wurde alles anders. Da wollten Eltern wissen, was ihre Kinder da eigentlich trieben. Der Roman wurde von mehreren Generationen gelesen und mit einen hochangesehenen Preis ausgezeichnet.
Ich hatte nicht damit gerechnet, aber es wurde zu meinem literarischen Durchbruch. Es war aber auch ein sehr viel besseres Buch als Der letzte Deal.“

Aber es waren vielleicht die Elling-Bücher, die dir wirklich die Herzen des norwegischen Publikums geöffnet haben?
„Eigentlich passierte das mit den Büchern über Peter und den Prof. „Endstation Hauptbahnhof“ wurde 1990 verfilmt und ein großer Erfolg. Aber auch diese Bücher waren umstritten, es ging schließlich unter anderem um Drogen und Prostitution. Manche Lehrer bekamen wirklich Kopfschmerzen, wenn eins der Bücher in der Klasse vorgelesen werden sollte. Ein Lehrer in Trøndelag ist damals total durchgedreht. Er hat Peter & der Prof-Bücher auf dem Schulhof verbrannt. Das brachte landesweit Schlagzeilen und war eine grandiose Gratisreklame für die Bücher!
Aber als Elling kam, war das auch ein ziemlicher Wahnsinn“, sagt Ingvar Ambjørnsen.
Der Autor wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, es waren überaus feierliche Anlässe. Und besonders absurd war es dann, dass er 2009 Ehrenbürger von Larvik wurde. Eine solche Anerkennung ist natürlich nett, aber auch bizarr. „Ich habe nicht nur gute Erinnerungen an Larvik. Aber was hätte ich tun sollen? Ich konnte doch nicht ablehnen, das wäre nur noch unhöflich gewesen. Ich dachte: Jaja, die Mächtigen, gegen die ich früher opponiert habe, sitzen jetzt mit Windeln und Alzheimer im Altersheim. Und eine neue Generation von Politikern geht eben auf andere Weise an meine Bücher heran.
Ich begegne meinen Leserinnen und Lesern wirklich mit Demut. Sie halten mich seit vierzig Jahren am Leben. Schriftsteller zu werden, war wirklich das einzige, worauf ich Lust hatte, und ich habe die Lust an diesem Beruf nie verloren.“

Dein Geschichtenquell versiegt also nicht?
„Nein, nie. Der Betrachter sammelt und phantasiert. Immer neue Lügengeschichten tauchen auf. Ich werde eines Tages mit vielen guten Ideen sterben, das weiß ich schon lange.“


Foto Tom Stalsberg


Das Interview wurde auf Norwegisch geführt von Ina Gravem Johansen und erschien in der Online-Zeitschrift Plnty. (https://www.plnty.no/2018/07/observatoren-fra-larvik/) Die Fotos stammen von Tom Stalsberg.

zurück