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Ingvar AmbjörnsenDas Katzenhaus am Grindelberg

Ein notwendiger Aufruhr


… Sie verlangen Taten, damit der Klimakollaps, den wir schon beobachten können, begrenzt wird.

Die Massenausrottung von Insekten und Tier- und Vogelarten lässt sich nicht aufhalten. Aber wir können damit aufhören, immer mehr Brennstoff zu dem bereits lodernden Feuer des Wahnsinns zu tragen. Die jungen Leute schwänzen Schule, weil ihnen ihre Zukunft gestohlen wird. Am 24. Januar haben sich 35 000 Schüler, Schülerinnen und Studierende vor dem Europaparlament in Brüssel versammelt. Um von ihrer eigenen Elterngeneration gesehen zu werden. Vorher wurde die Forderung nach einer Zukunft von hunderten von Schulen in Australien vorgebracht. Am vergangenen Freitag demonstrierten mehrere zehntausend Jugendliche in Deutschland und der Schweiz.

Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass es sich um ein kurzes Aufflackern zufällligen Zorns handelt, das sich in ein oder zwei Wochen legen wird. Dafür wird die Natur sorgen. Die Erderwärmung mit dem darauffolgenden Massensterben von Pflanzen und Tieren geht viel schneller vor sich, als noch die ärgsten Pessimisten geglaubt haben. Und das haben die protestierenden Jugendlichen begriffen. Dass es jetzt passiert. Nicht vielleicht morgen. Sie haben allen Grund, sich vor der Zukunft zu fürchten. Ihre Lebenqualität ist in höchstem Grad bedroht.

Und wie in einer Art verzerrtem modernen Märchen fängt alles mit einem jungen Mädchen an, das sprach, während die meisten anderen schwiegen. Im vergangenen August, dem heißesten und trockensten seit Menschengedenken, setzte sich die 15 Jahre alte Greta Thunberg vor das schwedische Parlamentsgebäude. Neben sich hatte sie ein Plakat mit der Aufschrift „Schulstreik für das Klima“. Sie war fest entschlossen, bis zu den Parlamentswahlen am 9. September dort sitzenzubleiben. Der Rest ist Geschichte. Heute kann fast niemandem entgangen sein, wie die eloquente junge Frau die aktuelle Situation analysiert. Es ist, wie sie selbst sagt, so einfach, dass sogar eine Fünfzehnjährige es verstehen kann. Eben. Eine Fünfzehnjährige.

Als ich selbst 15 war, schrieben wir das Jahr 1971. Zusammen mit einigen Freunden hatte ich einen Fernkurs in Ökologie gemacht. Solche Fremdwörter waren in der Schule so gut wie nie zu hören, und wir hatten allesamt keinen Kontakt zu Erwachsenen, die von diesem Phänomen auch nur gehört hatten. Die Generation von Erwachsenen, mit der wir aufwuchsen, besaß keinerlei Hemmungen, wenn es um Umweltverschmutzung oder Raubbau an der Natur ging. Für sie war das Meer eine gigantische Mülltonne. Man konnte einfach alles hineinwerfen, und uns bezeichneten sie als „linksverdrehte Idioten“. Sie fanden es ja nett, dass wir viel Zeit im Wald und am Meer verbrachten, aber in Bezug auf das Drama, das hinter der nächsten Wegbiegung auf uns wartete, wirkten sie mehr als nur begriffsstutzig.

Für mich war es das Schlimmste bei dem Versuch, mir Kenntnisse über Zusammenhänge und Konsequenzen in der Natur anzueignen, dass ich gerade deshalb verspottet wurde. Von Erwachsenen, die es ganz einfach nicht besser wussten. Und die darauf stolz waren. Die mit ihrer eigenen Unwissenheit prahlten.

Ich weiß deshalb ziemlich viel über die Wut, der Greta Thunberg und etliche tausend andere Jugendliche derzeit zu spüren bekommen. Aber einige Erwachsene wussten Bescheid. Wir suchten bei ihnen Zuflucht. Wir lasen Rachel Carson („The Silent Spring“), und die Bücher des Ernährungswissenschaftlers Georg Borgström. Carson warnte vor übermäßigem Einsatz von chemischen Insektenbekämpfungsmitteln in der Landwirtschaft, vor allen von DDT. Dem Insektenmittel aus der Hölle. In den 60er und 70er Jahren trug gerade DDT dazu bei, die großen Vogelfelsen in West- und Nordnorwegen zu entvölkern. Und viele unsere Raubvogelarten auszurotten. Noch zehn Jahre, nachdem die Behörden in vielen Ländern dieses Teufelszeug in Acht und Bann getan hatten, lernte ich in der Gärtnerlehre in Ulvik, was für ein Wundermittel DDT doch sei! Die Unvernünftigen wollten sich nicht geschlagen geben. Und während Rachel Carson das dem Verschwinden der Insekten folgende große Vogelsterben voraussah, wagte sich der Schwede Georg Borgström in noch tiefere und in düsterere Abgründe. In Büchern und Vorträgen zeigte er auf, welche Konsequenzen es haben würde, wenn die reichen Länder ihren erbarmungslosen Raubbau überall auf der Welt fortführten. Der Verlust von Ackerboden und Wasser würde gewaltige Menschenmengen in Bewegung setzen, sagte Borgström. Und sie würden sich dorthin bewegen, wo es Nahrung und Wasser gibt. Eigentlich ein Naturgesetz.

Und sie haben Carson und Borgström haben recht behalten. Sie wurden als Scharlatane und Weltuntergangspropheten bezeichnet, aber leider haben sie die Zukunft am klarsten gesehen. Ich habe oft gedacht, das Einzige, das sie nicht im Entferntesten vorausahnen konnten, sei, mit welcher grenzenlosen Gleichgültigkeit die Ökokatastrophe aufgenommen werden würde, wenn die düsteren Räder sich erst in Bewegung setzten. Die meisten Leute hielten den Sommer 2018 trotz allem für den besten Badesommer aller Zeiten und waren absolut zufrieden damit. Vielleicht wird sich der Sommer 2019 bis Mitte November ausdehnen lassen? Und wäre es nicht ziemlich cool, auf Spitzbergen Wein anzubauen?

Die fünfzehn Jahre alte Greta Thunberg ist zum Symbol für den Kampf gegen diese Idiotie geworden. Natürlich ist es Lüge und Erfindung, dass die neue Protestbewegung in der Jugend nur ihretwegen entstanden sei. Diese Bewegung musste kommen, da die, die am meisten zu verlieren haben, jetzt alt genug sind, um selbst zu denken. Die junge Frau mit den straffen Zöpfen denkt und spricht allerdings so deutlich, dass sie als natürliche Frontfigur erscheint.
Die jungen Leute werden nicht verhindern können, was sich jetzt zusammenbraut und was die Welt, die wir kennen, zerstören wird. Aber unter ihnen befinden sich die Forscher und Strateginnen von morgen. Die, die die neue Welt zusammensetzen werden.


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